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Bücher und Bilder

Nachruf auf Hannes Wanderer | 1958 - 2018



Entweder er ist in seinem Laden oder tot.“ – „Keine andere Möglichkeit?“ – „Nein!“


Sein Laden: das „25books“ in Mitte, Brunnenstraße, nur ein paar Quadratmeter Fläche, einige Regale, aber einer der bedeutendsten Fotobuchläden der Welt.


Ein Geschäft für wenige, für Sachkundige. Ins „25books“ ging man nicht kurz vor Weihnachten auf der Suche nach einem Geschenk für den Neffen mit dem Fernweh, den man mit Bildern neuseeländischer Landschaften überraschen könnte, oder für die Mutter, die eigentlich schon alles hat, aber so gern im Garten gräbt und sich bestimmt über zarte Impressionen aus Giverny freut. Das „25books“-Angebot taugte nicht für den Couchtisch. Mary Freys „Real Life Dramas“, Jungs auf einer amerikanischen Veranda, und einem blutet der Fuß; Michael Wolfs Hongkonger Hochhausfassaden; Andreas Trogischs Band „Technik“, eine eiserne Lampe, der Schatten einer nackten Glühbirne. Unter den Bildern kein Geschwätz; die Fotografien, ihre Aufeinanderfolge, erzählen durch sich selbst. Am Ende der Bände dann erst Texte, genaue, unkonventionelle, kluge. So, wie Hannes Wanderer war, genau, unkonventionell, klug. Wie seine Reden auf den Buchvorstellungen. In einem Hinterraum seines Ladens stand er auf Europaletten und stellte kenntnisreich die Bücher seines eigenen Verlages vor, „Peperoni Books“.


Begonnen hatte alles mit Fotos, die er selbst gemacht hatte, Bilder leer stehender Läden. Ein paar Exemplare im Selbstverlag drucken zu lassen, das kam nicht infrage, denn das bedeutete im Grunde nichts anderes als: Niemand außer mir will dieses Buch. Was dann? Einen richtigen Verlag gründen! Um Bücher herauszubringen, muss man ISBN-Nummern beantragen. Er brauchte zunächst ja nur die eine, erfuhr aber, dass sie im Zehnerpack wesentlich günstiger zu haben waren. So erschien sein Buch, „Time out“, und für neun weitere Werke war der Grundstock geschaffen.

Er war ja kein völliger Neuling auf dem Gebiet, die papierene Welt war ihm keine unbekannte. Seine Familie betrieb seit 1899 eine Druckerei in Bad Münder bei Hannover. Als Junge stand er an den Maschinen, der Geruch, die Geräusche drangen in ihn, gehörten zu ihm. Er machte eine Ausbildung zum Reprofotografen, begann grafisch zu gestalten und gehörte zu einer Gruppe, die in Berlin Mitte der 90er eine Werbeagentur gründete, aus der er dann ausschied, um sich ganz der Fotografie zuzuwenden.


Er hätte auch in der niedersächsischen Provinz bleiben und die Druckerei mit übernehmen können. Aber er dachte an Bob Dylan, dem er sich verwandt fühlte, der Duluth, ein Kaff in Minnesota, verlassen hatte, um in die große Stadt zu gehen. Also Berlin, neue Perspektiven, rau, grau und irrlichternd. Es ging Hannes in der Fotokunst nicht um schnöde, leicht zu erschließende Schönheit.


Sammelsurien, Ausstellungskataloge interessierten ihn nicht. Auch keine berühmten Köpfe, keine bedeutenden Weltereignisse. Damit machte er sich in der Branche zum Außenseiter, ermöglichte es aber Fotografen, ein Buch zu publizieren, auch wenn es den allgemeinen Sehgewohnheiten widersprach und sich also miserabel verkaufte. Erst mit der Veröffentlichung eigener Bücher konnten die Fotografen Galerien auf ihre Kunst aufmerksam machen.


Am Anfang hatte er nie mehr als 25 Titel in seinem Sortiment, deshalb „25 books“. War einer ausverkauft, rutschte der nächste nach. Auf diese 25er-Liste zu kommen, galt in einer bestimmten Fotografenszene als höchste Auszeichnung. Später konnte Hannes diesen elitären Ansatz nicht mehr durchhalten und veröffentlichte mehr.


Er kooperierte mit bedeutenden Buchhandlungen in Mailand und Tokio. Er erhielt Lehraufträge in Moskau, Wien und Connecticut. Er fuhr auf Messen, holte Pakete vom Zoll, richtete die Internetseite ein, machte die Abrechnungen, fuhr in die Druckerei in Bad Münder, die sein Bruder führt.

Dazu der allgemeine Niedergang des Marktes, das Verramschen von Büchern. Die Verlage verkauften ihm für den Laden Bücher, und noch bevor er überhaupt bezahlt hatte, entdeckte er, dass sie ihre Ware übers Internet bereits stark reduziert anboten. Er bäumte sich auf dagegen, schrieb Artikel in Fachzeitschriften. Eine Veranstaltung zur Krise des Fotobuchmarktes wurde organisiert, doch er wurde nicht eingeladen. Eure Probleme sind auch hausgemacht, hatte er immer wieder gesagt; das wurde nicht so gern gehört.


Die Anstrengung zerrte an seiner Gesundheit. Dazu die Zigaretten. Er hätte gern mit einem Partner weitergemacht, doch er fand keinen, der sich mit akzeptabler Hingabe seinem wenig lukrativen Geschäft widmen wollte.


An einem Septembertag schmerzte sein Arm, er verspürte einen Druck auf der Brust. „Geh sofort zum Arzt“, sagte sein Bruder am Telefon. Hannes legte sich ins Bett.

„Er ist nicht in seinem Laden. Ich kann ihn nirgends erreichen.“ – „Dann ist er tot.“


Tagesspiegel, am 19. November 2018

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